Irgendwie bin ich da mal wieder so reingeraten. In dieses Kasachstan. Und in dieses kleine, alte, wackelige Flugzeug, aus dem ich gleich springen werde. Korrigiere: aus dem ich gesprungen werde, sobald wir 3.000 Höhenmeter erreicht haben. Hab ich überhaupt noch Puls???
Einer meiner besten Freunde arbeitet gerade im Norden von Kasachstan, bei der Expo2017 in Astana. Er ist Zirkusartist und hat die Expo-Show für den Cirque du Soleil mitgestaltet. Besuche ihn mit einer Freundin, um dann weiter durch Kasachstan zu ziehen. Er nimmt uns mit zur Dropzone, irgendwo im Nirgendwo in der kasachischen Steppe. Treffen uns abends am Flugplatz mit Einheimischen zum Barbecue. Sie sind super herzlich, sprechen fast nur kasachisch und russisch. Aber „ein Schlückchen“ Wodka ist ja international. Und vermutlich der Grund, warum ich mich irgendwann sagen höre „ok, ich springe“.
Nacht im Zelt, morgens Herzschlag im Hals und mir ist schlecht. Von gestern und wegen heute. Erst mal das Formale. Mehrere Seiten Sicherheits- und Verzichtserklärungen fürs Skydiving. Auf kasachisch na klar. Ich unterschreibe einfach alles irgendwo. Wird schon. Sprung ist günstig, kostet um die 50€. Gut, und kostet Nerven. Die Fallschirminstructors reisen an. Meiner spricht leider kein Englisch, ist aber sehr amüsiert über meinen Gemüts- und Gesamtzustand. Und darüber, dass ich noch 'ne leichte Wodkafahne hab. „Ich mag Wodka“, lässt er übersetzen.
Kurzes Training, wie ich Arm, Beine, Kopf beim Sprung, in der Luft und bei der Landung halten muss. Fallschirme werden gecheckt, sechs Leute an Bord. Plus Pilot, der dankenswerterweise nicht springt. Mir ist das alles viel zu hoch, schon bei 50 Metern. Umkehren ist keine Option. Sterben aber auch nicht. Der Instructor schnallt mich vor sich fest. Ich vergesse mehrfach zu atmen. Irgendwann haben wir die 3.000 Meter erreicht – die ersten hüpfen einfach aus der offenen Flugzeugtür in die Wolken in die Tiefe!! Ich: hysterisch-komatös. Der Instructor schiebt mich auf die Tür zu. An der Türschwelle gucke ich einmal kurz – und denke, alles klar, ich sterbe, schon vom Gucken. Muss die Augen zu machen, als er springt und ich mit.
Denke, so oder so ist es in spätestens fünf Minuten rum, entweder bin ich dann tot oder halt nicht. Wenn nicht, kann ich mir ja dann überlegen, ob`s mir die Panik und die Überwindung wert waren. Mit dieser schlüssigen Argumentation in meinem wirren Kopf überzeuge ich mich, Ruhe zu bewahren. Wir fallen gefühlt ewig und rasend schnell durch die Wolken. Bis zum Ruck – Fallschirm ist auf. Endlich! Beim Gleitflug kann ich wieder atmen, lachen und auch die Aussicht genießen.
Landung klappt auch, und mir erst mal die Beine weg. Unten warten alle anderen, klatschen, lachen, überreichen mir eine Urkunde – und einen Schluck Wodka. Sa sdorowje!
P.S. Ich glaube nicht, dass ich nochmal skydiven möchte, lege mich aber bei sowas nicht fest. Schon gar nicht auf Reisen! Diesen Ort, diese Menschen, diese Gelegenheit, etwas Neues zu probieren gibt es ja immer genau hier und jetzt.
Den prophezeiten Wahnsinnskick vom Sprung hatte ich nicht. Der kam später, war anders und hat viel länger gehalten: Auf der weiteren Reise durch Kasachstan und Kirgistan und auch Wochen später im Alltag in neuen oder aufregenden Situationen habe ich gedacht: ich bin in 3.000 Metern aus einem kasachischen Flugzeug gesprungen – also was ist hieran bitte schlimm? Und dieses Gefühl, eine größere Angst schon mal besiegt zu haben, ist tatsächlich den kurzen Moment der Überwindung immer wieder mal wert. Vielleicht springe ich doch nochmal.
Danke fürs Fordern und Händchenhalten, dieses geteilte Abenteuer und Freundezeit in der Fremde, Hugo, Luisa, Nikita, mein Instructor und alle von Skydidivng Astana!! Happy flights and jumps and dives!
Kommentar schreiben
Nate (Mittwoch, 13 Dezember 2017 00:56)
Toller Beitrag und super fesselnd geschrieben! Ich habe mich noch nicht getraut aus dem Flugzeug zu springen, aber ich bin mir sicher, dass das auch irgendwann auf mich zu kommen wird.